Einmal mehr ein Hoch auf den Möglichkeitssinn

Wenn wir uns nicht bemühen, uns zusätzlich zu dem wie es ist, vorzustellen wie es denn auch noch sein könnte, wird wohl kaum etwas anders werden und sein können.

Ja – unabhängig davon wie stur, realitätsfremd oder naiv (oder was auch immer die wiederholt gehörten Attributionen noch sein mögen) dies erscheinen mag – wir halten fest daran , dass es die Vorstellungskraft an sich ist, die eine zentrale Rolle und Kraft für die Gestaltung einer besseren Zukunft einnimmt.

Wir verweisen unter anderem gerne auf den von Robert Musil sehr eindringlich im „Mann ohne Eigenschaften“ beschriebenen „Möglichkeitssinn“ – den er in einem engen Naheverhältnis vom allseits anerkannten Realitätssinn wie folgt einleitet:

“Wer ihn (den Möglichkeitssinn) besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehen; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein.

So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.”

Ganz in diesem Sinne des „das was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist“ erlaubten wir uns den im Kunstraum Innsbruck durchgeführten Workshop mit dem Titel (oder vielleicht auch der Aufforderung) „Lust auf Zukunft?!“ einzuleiten. Ins Zentrum stellten wir Lebensqualität als solche. Die eigene, die aller, die aktuelle, die zukünftige. Wodurch wird sie gesteigert, wodurch beschränkt, wodurch ganz grundlegend beeinflusst, geprägt und gesteuert…

Um sich der Thematik um „Lebensqualität“ anzunähern baten wir am Ende des ersten Tages die Teilnehmer*innen sich bis zum nächsten Morgen Gedanken darüber zu machen, was sie gerne dem eigenen Alltag hinzufügen, respektive aus diesem streichen würden, um die individuell empfundene Lebensqualität zu steigern?


Erwartungsgemäß war die Palette der Antworten breit. Erstreckte sich vom ganz sachbezogenen, praxisnahen Bedürfnis über wünschenswert Fantastisches bis hin zu Elementen welche den Wandel des persönlichen Lebens erfordern oder auch grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft / der Politik voraussetzen.

So wurde sowohl ein Mehr an kostenfreien Zugang zu umliegenden Baggerseen erwähnt, zusätzliches Geld in den Brieftaschen samt Gelddruckmaschine gewünscht als auch ein Plus an Geduld, an Zeit, an Chaos oder an Leichtigkeit notiert. Minimiert werden sollte der von Autos verursachte Straßenlärm, eine aktuell omnipräsente Kampfrethorik oder Kränkungen ganz allgemein. Die Liste schien endlos. Eine simples „Fragenduett“ – mit enormem Potential für umfangreiche Überlegungen und Austausch in der Gruppe.

Vom persönlichen Wohlbefinden glitten wir über in die „Lebensqualität aller“. Konzentrierten uns weniger auf Aspekte die diese steigern als vielmehr auf jene, die diese ganz universell beeinflussen. Unabhängig davon ob es zu einer Verbesserung dieser oder einer Verschlechterung kommt. Mit der Frage „Welche Entwicklungen (Trends & Drivers) sind entscheidend für die zukünftige Lebensqualität Aller?“ sammelten wir das „Wissen im Raum“ ein um diese entlang von STEEP (samt Unzulänglichkeiten) zu ordnen.

Den Teilnehmer*innen stand im Anschluss offen in kleineren Gruppen vier Faktoren für die Basis ihres Zukunftsszenarios zu wählen. Auch die Entscheidung in welche Richtung sich diese Faktoren (Steigerung / Reduktion / ..) tendenziell entwickeln oblag der Gruppe.

Folgende beiden Basen traten zutage: Szenario 01 spekulierte mit einem Verbund aus der Zunahme aktiver Untergrund-Bewegungen und gesteigerte Vernetzungsaktivitäten in allen Bereichen, kombiniert mit einem Rückgang von Lebensraum und Arbeit.
Szenario 02 wiederum wählte den Anstieg von Barrierefreiheit (Zugänglichkeit von “allem”), in Verbindung mit dem Wachstum von Lebensräumen und der steigenden Bedeutung von Kunst kombiniert mit einer Reduktion von Komplexität, bzw. der Minimierung der Vielzahl von Produkten.

Für die Ausarbeitung der Szenarios wählten wir ein zeitlich eng getaktetes Netz an Fragen. Beginnend mit einer Adaption der „4C auf 5C-Methode“ – in der characteristica, components, challenges, characters & competences entlang der zentralen Faktoren abgefragt werden um eine grundlegende Zeichnung, Beschreibung der Welt zu ermöglichen. Skizzen für eine vertiefende Storyworld erarbeiteten wir mit einer für diese Übung eingeführten „4A-Methode“. Neuerlich waren es eng aufeinanderfolgende Fragenreihen die sich darauf konzentrierten zu überlegen welche Bündnisse / Allianzen (mit einem gemeinsamem, sozialen, ökologischem oder politischem Anliegen) sich in der entwickelten Welt formieren (Aktivistinnen / Antagonistinnen / Ambitionen / Aktionen).

Bemerkenswert ist, dass in beiden entstandenen Szenarien Künstliche Intelligenz im Verlauf der Verdichtung eine vorherrschende Rolle einnahm. War KI ursprünglich als „entscheidender Driver“ zwar in der gemeinsamen Sammlung essentieller Faktoren für die Entwicklung von Lebensqualität rasch ausgemacht, wurde sie nicht explizit in die Zentren der Szenarien übertragen – erlangte aber schlussendlich eine implizite Dominanz in der Entwicklung von Lebensqualität unser aller – sowohl im Szenario „ComfortZone“ als auch „Project-Final_Experiment_LastVersion 47“. Bei beiden Szenarios weniger eine Bewusstsein entwickelte künstliche Intelligenz die den menschlichen als auch nicht-menschlichen Wesen der Welten Positionen streitig macht, als vielmehr eine, die universell unterstützend im Hinter- und Untergrund ein Dasein lenkt. Künstliche Intelligenz die, zumindest nicht auf den ersten Blick, Angst macht … Dennoch eine, gegen diese man sich auflehnen kann… am besten noch gleich in einer Allianz mit vielen.

Uns bleibt nun eigentlich nur noch zu sagen – oder vielmehr davon zu schwärmen – wie freudvoll und anregend es ist, dabei sein zu dürfen, wenn derart interessierte und begeisterte Menschen mögliche Zukunftswelten zeichnen, dabei sein zu dürfen, wenn kollektiv spekuliert, fabuliert und imaginiert wird, dabei sein zu dürfen, wenn Raum entsteht, der es erlaubt Möglichkeiten zu denken, zu hinterfragen und zu diskutieren. Und zu allerletzt wollen wir schlicht noch ein Hoch auf den Möglichkeitssinn aussprechen – das ist doch mal ein Ende für einen Blogeintrag – oder?

Obwohl – da gibt es doch noch ein anderes Ende – eines, das uns unter Zustimmung von zwei Teilnehmer*innen erlaubt, deren “Narrative Probes” – deren kurze Stimmungserzählungen zur zum entwickelten Szenario „ComfortZone“ zu veröffentlichen.

Herzlichen Dank hier an Rosina Hilber, die, während ihre RoboterEinheit N.I.C.E geschäftig die Hausarbeit erledigt, der romantisch verpackten Einladung eines Followers ins virtuelle Traumland folgt, welches gar Natur zu bieten hat. Gleichfalls Dank an Johannes Schwaninger, der in seiner Erzählung Geld durch Joule als Bemessungsgrundlage für die Bewertung von Arbeit ersetzt.

Rosina Hilber
Johannes Schwaninger

Der Workshop “Lust auf Zukunft?!” wurde im Zuge der Sommerschule des Kunstraum Innsbruck abgehalten. Unterstützt wurde er durch die University of Applied Arts Vienna, FWF Austrian Science Fund, BMKOES, Linz Kultur, Kulturland OÖ, LinzAG und speist Curiouser and Curiouser, cried Alice: Rebuilding Janus from Cassandra and Pollyanna (CCA) – ein kunstbasiertes Forschungsprojekt von Design Investigations (ID2) / University of Applied Arts Vienna und Time’s Up. Dieses ist Teil des Arts-based Research Programmes (PEEK) des Austrian Science Fund (FWF): AR561.

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